1. September 2010 Anti-Kriegstag:
       
Deutschland 1935.
Ein zehnjähriger "Pimpf". Kurz nach seiner Aufnahme ins "Jungvolk" und sechs Jahre vor seinem ersten freiwilligen Auslandseinsatz ...
... zur Sicherung der deutschen Rohstoffversorgung und Versorgungswege u.a. in Frankreich ...
... ...und Russland.
 
Deutschland, Nürnberger Tribunal, 1945.
Der U.S-amerikanische Chefankläger und Richter des Obersten Gerichtshofs der USA, Robert H. Jackson erklärt in Nürnberg:

"Aber der letzte Schritt, periodisch wiederkehrende Kriege zu verhüten, die bei internationaler Gesetzlosigkeit unvermeidlich sind, ist, die Staatsmänner vor dem Gesetz verantwortlich zu machen. Und lassen Sie es mich deutlich aussprechen: Dieses Gesetz wird hier zwar zunächst auf deutsche Angreifer angewandt, es schließt aber ein und muss, wenn es von Nutzen sein soll, den Angriff jeder anderen Nation verdammen, nicht ausgenommen die, die jetzt hier zu Gericht sitzen." (…)
  Nehmen wir uns das im Grundgesetz garantierte Recht, Politikern, die uns eine Angriffsarmee mit dem Aussetzen der Wehrpflicht schönzureden versuchen, die Gefolgschaft zu verweigern

Der erste Tag im September ist ein Datum mit Bedeutung - sowohl aus meteorologischer als auch aus politischer Sicht. Immer wenn es auf der nördlichen Erdhalbkugel Herbst wird und auf der südlichen der Frühling Einzug hält, erwacht die Erinnerung. Denn in der Morgendämmerung des 1. September 1939, vor 71 Jahren, griffen zwei deutsche Heeresgruppen Polen an. Zwei Auslandseinsatz-Tage später erklärten England und Frankreich ihrerseits dem Deutschen Reich den Krieg. Seither werden Weltkriege nummeriert. Dank "investigativer" Medien, die sich die Freiheit nehmen das Unwesentliche zu thematisieren, wissen wir heute, dass der 1,75 Meter große Diktator an diesem Tag 70 Kilogramm wog, eine braune Jacke und schwarze Hosen trug und sehr nervös wirkte. Was SS-General Karl Wolff dem U.S.-amerikanischen Geheimdienst bei Kriegsende mit Blick auf den sich abzeichnenden "Kalten Krieg" zwischen den alliierten Verbündeten anbot, wissen wir dagegen bis heute nicht. Ob der 48. Historikertag 2010 in Berlin dazu Erhellendes beitragen wird, darf bezweifelt werden.

Sicher ist, Europa wird am 1. September wieder zur Geschichtswerkstatt, wo politisch denkende Menschen und pragmatisch handelnde Politiker sich Gedanken um die Zukunft der Erinnerung an den II. Weltkrieg machen. Und es wird sicher wieder Streit geben, wenn bei der Rückschau erneut Grenzen überschritten werden: Beispielsweise wenn Rechtsextreme die Bombardierung Dresdens mit dem von Deutschland verübten Genozid an den europäischen Juden gleichsetzen oder deutsche Politiker die Transformation der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zu einer Angriffsarmee mit der Aussetzung der Wehrpflicht als Placebo schönzureden versuchen.

Über die Ängste U.S.-amerikanischer und deutscher Soldaten, die sich aktuell im Krieg befinden, und ihrer Familien, wird vermutlich niemand reden. Offiziell zumindest nicht. Längst ist die Realität des Krieges nach Europa zurückgekehrt und hat Sieger und Besiegte wieder eingeholt. Die Euphorie U.S.-amerikanischer Soldaten und ihrer europäischen Waffenkameraden, die auf "Mission" in den Irak und nach Afghanistan geschickt wurden, ist der Ernüchterung gewichen: Indem sie realisierten, dass Menschen um sie herum sterben und auch sie selbst jederzeit sterben können. Jeder, der in den Krieg zieht, wird vom ersten Kriegstag an auch zum Ziel und stellt sich drei Fragen: Was bedeutet es zu sterben? Was bedeutet es zu töten? Wie kann ich überleben?

Scheinbar auf alles sind Soldaten heute vorbereitet. Selbst das Überleben in nahezu aussichtslosen Gefechtssituationen lässt sich üben, was in unserer Region bei zahlreichen U.S.-Militärmanövern mit Militärhubschraubern auch zu hören ist. Doch dass die Heimat von den Sorgen und Nöten der Soldaten kaum Notiz nimmt und sie selbst, wenn sie den Kriegseinsatz überleben, nach ihrer Rückkehr zum Schweigen verdonnert werden, überrascht Soldaten diesseits und jenseits des Atlantik. Wie auch die Tatsache, dass Soldaten und Offiziere sich zunehmend rechtfertigen müssen. Auch darauf wurden sie nicht vorbereitet. Spät erkennen sie, dass die Werte, für die sie meinten einzutreten, schon bei Kriegsbeginn Makulatur waren oder im Krieg verloren gingen und seither nicht mehr zählen. Doch dem ist nicht so.

Seit Ende des II. Weltkriegs müssen sich Militärs, Politiker und Kriegsteilnehmer auf der Basis des Völkerrechts rechtfertigen. Zumindest irgendwann. Das hatte vor 1945 noch niemand bei der Kriegsvorbereitung auf der Agenda. Und noch heute glauben manche in der Welt, u.a. in Washington, sich der Verantwortung entziehen zu können, indem sie den Internationalen Strafgerichtshof zwar als Mittel gegen "Feind-Staaten" benutzen, ihn jedoch selbst nicht anerkennen. Doch die Menschheit vergisst nicht. Unter Politikern und Militärs, die junge Menschen vor die Wahl stellen zu töten oder getötet zu werden, scheint sich das herumzusprechen. Längst rekrutieren sie auch Rechtsberater und gliedern sie in ihre Befehlsstrukturen ein. Dieses schlechte Gewissen und die Angst politischer und militärischer Entscheider vor internationalem Recht und dem deutschen Grundgesetz spüren Soldaten bei ihren Einsätzen zunehmend. Und das ist gut so. Es ist das Vermächtnis der Eltern- und Großeltern-Generation der heute u.a. im Irak und Afghanistan kämpfenden GI's und des U.S-amerikanischen Chefanklägers und Richters des Obersten Gerichtshofs der USA beim Nürnberger Tribunal, Robert H. Jackson.

Was die Initiatoren und Befürworter des "Nürnberger Strafgerichtshofes", der dem Völkerrecht zum Durchbruch verhalf, 1945 nicht wissen konnten, ist die Tatsache, dass Kriege heute wieder aufgrund einer militärtechnischen Überlegenheit als durchführbar und gewinnbar gelten. Das "Gleichgewicht des Schreckens" , bei dem jeder Angreifer seinen eigenen Untergang einkalkulieren musste, ist seit dem Fall der Berliner Mauer Geschichte. Künftige Angriffskriege werden nicht mehr wie heute von NATO-AWACS-Radarflugzeugen koordiniert, in denen auch Deutsche einen völkerrechtlich problematischen Dienst tun, sondern von der Stratosphäre aus mittels geostationärer, unbemannter Radar-Luftschiffe - unterstützt von Satelliten aus dem Weltraum. Hierfür leistet sich neben den USA, Russland und Israel auch die Bundeswehr ein eigenes Spionage- und Aufklärungsprogramm. Allein die Kosten für Logistik und Unterhalt einer hochmodernen, für weltweite Einsätze ausgerichteten Armee - auch wenn sie in verschiedenen zivilen Etats der Bundesregierung versteckt sind - dürften die Kosten einer Verteidigungsarmee um ein Vielfaches übersteigen. Rechtfertigt das die weltweite Sicherung von Ressourcen und Versorgungswegen? Rein ökonomisch nicht. Kaufen oder Investieren ist von der Kosten-Nutzen-Rechnung her kostengünstiger. Und daran, dass die "Freiheit" am Hindukusch oder in der Nähe von Pipelines oder Öltankern andernorts verteidigt werden muss, glauben selbst unsere im Einsatz desillusionierten Soldaten und Offiziere nicht mehr.

Wir haben die Wahl - vor Kriegsbeginn. Denn verlässt eine Kugel den Lauf, kann man sie nicht mehr aufhalten. Nehmen wir uns das im Grundgesetz garantierte Recht, Politikern, die uns eine Angriffsarmee mit dem Aussetzen der Wehrpflicht schmackhaft zu machen versuchen und auf willfährige Kriegsfreiwillige und Söldner setzen, die Gefolgschaft zu verweigern.

Diesen Ungehorsam können wir guten Gewissens auch unseren Verbündeten empfehlen. Auch wenn es für manche U.S.-Amerikaner schwierig sein mag einzusehen, dass der Vietnam- und Irak-Krieg ein Verbrechen war: Die schmerzhafte Erkenntnis zeugt von Größe in einer Zeit, wo im "Krieg gegen den Terror" die Methoden der Kriegsgegner sich immer ähnlicher werden und "Kollateralschäden" das Ansehen der USA und ihrer Verbündeten ernsthaft bedrohen. Es ist immer schwerer einen Krieg zu beenden, als ihn zu beginnen. Wirtschaftliche Probleme mit militärischen Mitteln lösen zu wollen, ist ein gefährliches Vabanque-Spiel mit sehr hohen Einsätzen, bei dem man sehr viel - manchmal auch alles - verlieren kann. Sich gegen Politiker zu stellen, die unsere Verteidigungsfähigkeit schwächen indem sie unsere Armeen und unsere Kinder wissentlich für zweifelhafte Ziele in Angriffskriege schicken, ist staatstragend und daher eine gute Wahl.

Erinnern wir uns: Als der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der USA gegen Vietnam am Verteidigungswillen der Nordvietnamesen scheiterte und der Rückzug als beste Option gewählt wurde, empfanden das selbst U.S.-Soldaten, die das Grauen in vordersten Front erlebt hatten, als befreiend: "Wir werden ausgeflogen! Was für ein tolles Gefühl!"